Die richtige Antwort darauf wäre „Jein“. Oder treffender: Es kommt darauf an.
„Bäume“ sind ein weiter Begriff. Wenn man an Waldbäume denkt, so ist schnell klar, dass diese Bäume nicht geschnitten werden – die Natur sorgt in der Regel in intakten Wäldern dafür, dass Bäume gut wachsen, wenngleich das natürlich nicht immer für jeden einzelnen Baum gilt, sondern nur für die Gesamtheit aller Bäume des Waldes. Also, kurzum, um die Bäume im Wald muss man sich nicht kümmern, die wachsen ganz „natürlich“.
Anders verhält es sich jedoch bei Bäumen, die in der sog. Kulturlandschaft wachsen sollen. Hier greift der Mensch ein und gestaltet solche Landschaften nach seinen Bedürfnissen.
Ein Beispiel dafür sind die Streuobstwiesen. Auch wenn sie „natürlich“ erscheinen mögen, so sind sie nichts weiter als ein Produkt menschlichen Eingriffes und Gestaltung. Was aber – in diesem Falle – für die Natur von unschätzbarem Wert ist.
Die Neuanlage einer Streuobstwiese, wie sie vom NABU Büttelborn im Jahr 2021 auf einem Hektar begonnen wurde, ist bei Weitem nicht mit dem Pflanzen der jungen Bäume erledigt. Schon beim Pflanzen werden die jungen hochstämmigen Obstbäume im Kronenbereich zurückgeschnitten, denn die wenigen Wurzeln, die diese (verpflanzten) Bäumchen behalten haben, reichen meist nicht für eine Ernährung ihrer vielen Äste im ersten Jahr.
Aber die „Erziehung“ solcher Kultur(obst)bäume erstreckt sich auch über die folgenden rund fünf Jahre. Fachleute sprechen hier von dem sog. Erziehungsschnitt. Das bedeutet, dass junge Obstbäume in den Jahren nach der Pflanzung durch gezielte Maßnahmen ein kräftiges Kronengerüst mit zahlreichen, ausreichend besonnten Fruchtästen entwickeln sollen.
Ließe man diese Bäumchen einfach wachsen, würden sie meist viele junge Triebe bilden, die sich gegenseitig behindern oder beschatten – der Baum würde oft wuchern und eine Ernte von Obst wäre später kaum zu erwarten. Unterbleibt ein solcher Schnitt in den ersten Jahren, tragen die Bäume unter Umständen zwar schneller erste Früchte, kümmern fortan allerdings im Wachstum und „vergreisen“ vorzeitig.
Da solche Schnittmaßnahmen jedoch nicht nach dem Rasenmäherprinzip erfolgen dürfen („alles Neue einfach abschneiden“), ist hierfür Einiges an Fachwissen erforderlich.
Aber, zum Glück gibt es ja Experten, und einen solchen hatte der NABU Büttelborn in Kooperation mit dem Landschaftspflegeverband des Kreises Groß-Gerau am 09.03.2024 zu Gast auf der neuen Streuobstwiese.
Der Landschaftspflegeverband engagierte Jan Heimer als kompetenten Kursleiter des Teams „Astwerk“, um den 15 angemeldeten Kursteilnehmern die Erziehung junger Hochstammobstbäume näher zu bringen.
Jan Heimer führte sehr fundiert und logisch nachvollziehbar in die Baumbiologie und die Möglichkeiten der Erziehungsschnitte theoretisch ein, bevor es an die praktische Arbeit ging. An zwei Bäumen wurden die Schnitttechniken unter guter Erklärung praktisch demonstriert. Danach galt es in Kleingruppen, an vorher ausgesuchten und markierten Bäumen, das Gelernte anzuwenden. Es wurde betrachtet, gemeinsam überlegt, diskutiert und dann wohlüberlegt geschnitten. Bei schwierigen Fällen erklärte der Kursleiter immer wieder seine Gedanken und stellte die wahrscheinliche Wuchsentwicklung der Bäume dar.
Der Kurs war für alle Teilnehmer eine wunderbare Einführung, sowie Auffrischung und Festigung schon erlernter Schnitttechniken. So war auch für die „alten Hasen“ des Obstbaumschnitts viel Neues dabei, welches so nachvollziehbar dargestellt wurde, dass es auch zukünftig zur Anwendung kommen wird.
Zum Abschluss wurde der Erziehungsschnitt auch an ca. 8-10 jährigen Obstbäumen demonstriert und geübt. An Beispielen wurde überlegt, weshalb die Baumvitalität an der ein- oder anderen Stelle nicht optimal ist.
Schwierigkeiten hatten wohl ziemlich alle Teilnehmer damit, dass bei Jungbäumen viele Blütentriebe entfernt werden sollten, damit der Baum seine Kraft in den ersten Jahren in die Entwicklung des Holzes steckt und noch nicht in die Ausbildung von Früchten.
Schweren Herzens wurden also von vielen Jungbäumen die Blütenansätze entfernt, wobei die ein oder andere Blüte natürlich versteckt stehen gelassen wurde, um sich demnächst an dieser Pracht ein wenig zu erfreuen.
Nach sechs Stunden Kursdauer, Sonnenschein und leckerer Stärkung vom örtlichen Bäcker, war man sich einig, dass dieses Thema für die Entwicklung und Erhaltung einer gesunden und vitalen Streuobstwiese besonders wichtig ist.
Die sechs Teilnehmer des NABU Büttelborn werden nun in den nächsten Wochen sehr motiviert zur Tat schreiten, um das Gelernte an den restlichen jungen Bäumen fleißig anzuwenden.. [ch/ck 03/24]