Interview mit dem Huhn "Liesel"
Dies sind die Ansichten eines ehemaligen Hochleistungs-Legebatterie-Huhns namens „Liesel“. Liesel entging vor ein paar Monaten dem üblichen Schicksal eines Legebatterie-Huhns und fand stattdessen ein liebevolles neues Zuhause bei Jannes und seiner Familie in Büttelborn.
Wir von NABU wissen natürlich, dass es schon sehr schwer ist, die Hühnersprache richtig zu verstehen. Aber Jannes ist mittlerweile sehr geübt darin und hat netter weise das Interview simultan für uns übersetzt.
Wir vermuten, Liesel dürfte mit seiner Übersetzung recht zufrieden sein – auch wenn vielleicht nicht jedes ihrer Hühner-Worte immer leicht zu verstehen war und wir manches vielleicht etwas interpretieren mussten. Aber lesen Sie selbst…
Redaktion: Liesel, du bist erst seit kurzer Zeit in Büttelborn zuhause, woher stammst du eigentlich?
Liesel: Oje, da will ich mich eigentlich gar nicht mehr so richtig daran erinnern. Ich bin inmitten von ganz vielen anderen Hühnern geschlüpft, von denen aber nach wenigen Augenblicken schon alle meine Brüder verschwanden.
Redaktion: Brüder? Wieso denn alle Brüder?
Liesel: Nun, den Grund habe ich erst später erfahren. Sie werden üblicherweise als nutzlos empfunden, denn sie legen - wie jedes schlaue Huhn weiß - nun mal keine Eier. Und richtig proper werden sie, so sagt man, auch nicht so schnell wie wir Mädels. Und somit gelten sie als „nutzlos“ und werden entsorgt. Aber das heißt etwas weniger schön ausgedrückt: sie werden einfach getötet.
Redaktion: Hm, das scheint ja eine schwere Kindheit gewesen zu sein…
Liesel: Ja, das kann man so sagen. Ich kam also mit all den anderen tausenden Schwestern in einen großen Raum, in dem wir immer Futter und Wasser bekommen haben. Einen Menschen haben wir bis dahin jedoch fast nie gesehen. Aber, nach wenigen Tagen schon, wurde unsere riesige Wohngemeinschaft jäh auseinanderrissen und wir wurden – so schnell konnten wir gar nicht gucken – in dunkle Kisten verpackt und irgendwohin gefahren.
Redaktion: Wie, schon wieder umgezogen?
Liesel: Wir kamen auch diesmal in eine riesige Halle, ohne Tageslicht, nur Kunstlicht. Wir waren unzählbar viele. Mittlerweile kann ich sicher bis sechs zählen. In meiner jetzigen Wohngemeinschaft sind wir nämlich zu sechst. Aber dort waren wir unendlich viele. Wir kannten uns kaum. Immer wenn man sich mit einer Mitbewohnerin angefreundet hatte, kamen so viele andere dazwischen, dass wir uns kaum je wiedergefunden haben. Futter gab es an einem laufenden Band. Jannes (der gehört zum Glück nun zu meiner neuen Menschen-Familie) sagt, das sei wie in einem Sushi-Restaurant. Wir hatten am Anfang wenigstens immer genug Futter und Wasser.
Redaktion: Klingt ziemlich beengt. Wieviel Platz hattest Du dort für Dich allein?
Liesel: Ich meine es waren nur ca. zwei Bürzellängen in der Breite und zwei Bürzellängen in der Länge. Meine Bürzellänge schätzt Jannes auf 18cm. Vorgeschrieben sind ca. 1100 Quadratzentimeter, das sind ca. 31cm x 36cm. Oder, anders ausgedrückt, ca. 1 ½ DINA4 Blätter.
Redaktion: Kannst Du uns das vielleicht noch etwas anders verdeutlichen?
Liesel: Ihr Menschen schlaft ja, wie ich jetzt erst erfahren habe, nicht auf Stangen, sondern in Betten. Jannes sagt, dass Betten meistens 1 m breit und 2 m lang sind. Das wären dann 2 qm. Auf einem Quadratmeter Stallfläche in der Bodenhaltung dürfen neun Hühner Tag und Nacht ohne Auslauf leben. Das heißt in Jannes‘ Bett würden wir mit 18 Hennen die ganze Zeit wohnen. Übrigens: ausgemistet wird in diesen Ställen so gut wie nicht und deshalb hat es leider ganz schön stark gerochen – nein, eigentlich hat es echt schrecklich gestunken…
Redaktion: Hattet Ihr dann wenigstens zum Schlafen auf den Stangen etwas mehr Platz?
Liesel: Auf den Stangen hatten wir pro Bewohnerin eine Bürzellänge Platz. Hier in meinem neuen Zuhause gibt es ganz viele Stangen, die wir sechs Hühner-Mädels jeden Abend erklimmen. Manchmal kuscheln wir, aber meistens schlafe ich ganz in Ruhe und allein. In der Bodenhaltung waren die Stangen nicht so weit oben, was unweigerlich dazu geführt hat, dass die anderen von unten den auf den Stangen sitzenden Mädels oft in den Bauch gepickt haben. Das war schrecklich…
Redaktion: Was musstet ihr denn dort tun?
Liesel: Ganz einfach: Eier legen! Und zwar möglichst viele. Ein Ei pro Tag - das war die Erwartung an uns. Das haben wir aber nicht ganz geschafft, es waren „nur“ rund 300 Eier im Jahr.
Nach diesem ersten Jahr hatten wir dann alle etwas weniger Eier gelegt, obwohl wir uns auch weiterhin echt angestrengt hatten. Und dann wurde unser Futter und das Licht plötzlich ganz doll reduziert, es war so lange dunkel. Wir hatten alle fürchterliche Angst und wussten gar nicht, wie das nun weitergehen wird. Wir hatten danach auch angefangen um das Futter zu streiten und weil das alles so anstrengend war, hatten wir unsere Federn verloren (wir erneuern hin und wieder unsere Federn während der Mauser, aber das war irgendwie anders…)
Nach mehreren Wochen blieb das künstliche Licht wieder deutlich länger an und wir haben endlich auch wieder genug Futter bekommen. Als wir dann – fast schon aus reiner Dankbarkeit - auch wieder Eier gelegt haben, waren diese jedoch viel, viel größer als vorher. Das tat aber sehr weh beim Ablegen und viele von uns sind daran gestorben, weil der Ausgang zu klein für diese „XL-Eier“ war. Dieser Zustand dauerte noch so ca. drei Monate, bevor wir den letzten Umzug antreten sollten…
Redaktion: „XL Eier“? Wozu braucht man denn so etwas?
Liesel: Das müsstet ihr die Menschen fragen. Wir Hühner brauchen das sicherlich am wenigsten. Aber, so sagte man mir, würde der Verbraucher sich nicht mehr mit unseren „normalen“ Eiern begnügen, er verlange nach immer größeren Eiern – im „XL Format“ eben.
Redaktion: Das ist ja wirklich unglaublich, was Du und die anderen da erlebt haben! Magst Du erzählen, wie es dann weiterging?
Liesel: Ein paar Tage vor unserem letzten Umzug haben wir kaum noch was zu futtern bekommen. Am Umzugstag kamen einige Menschen in unsere riesige Halle und haben begonnen uns einzufangen. Manche waren ganz lieb zu uns. Zum Glück hat mich so jemand eingefangen (das waren die Menschen von „Rettet das Huhn“). Ich wurde gar nicht fest angefasst wie viele andere, sondern ganz zart. Mit ein paar Mitbewohnerinnen kam ich in einen hellen Korb und schon ging es auf einem Autoanhänger vom Westerwald in Richtung Süden. Wir hatten trotzdem alle Angst und natürlich Hunger und Durst.
Redaktion: Und was geschah mit all den anderen Mitbewohnerinnen, die nicht so zärtlich mitgenommen wurden?
Liesel: Ich befürchte, sie wurden kurz danach von euch Menschen gegessen…
Redaktion: Oje, wohin ging dann diese erneute Reise?
Liesel: Unterwegs haben wir an mehreren Stationen gehalten. Dort standen ganz viele Menschen mit Transportkäfigen, u. a. auch meine neue Familie. Leider haben auch diesmal viele diese Reise nicht überlebt. Ich wurde zusammen mit meiner neuen Gefährtin Sissi an Jannes und seine Familie übergeben.
In Büttelborn angekommen haben wir dann erstmal eine Menge Dosenmais gefuttert. Das ist quasi Futter und Wasser in einem. Sissi ging es aber leider gar nicht gut. Ich hatte ganz viel Angst, dass sie jetzt sterben würde, so erschöpft war sie von den vergangenen Ereignissen.
Redaktion: Jetzt machst Du es aber spannend…
Liesel: Sissi hatte die Nacht zum Glück überstanden und wir haben zusammen erstmal die neue Wohnung inspiziert. Es hatte etwas geregnet, aber so etwas kannten wir bis dahin ja gar nicht! Und die braune Erde unter unseren Füßen war irgendwie auch komisch… Und das Kunstlicht war so unglaublich hell – dann habe ich jedoch von Jannes erfahren, dass das die Sonne sei…
Neben uns gab es weitere Hennen, die sahen aber ganz anders aus, die waren gar nicht weiß wie wir, sondern ganz unterschiedlich gefärbt. Aber das Interessanteste war, dass sie überall Federn hatten, sogar ganz lange hinten am Bürzel. Sie sahen wunderschön aus. Abends ging es uns schon besser und wir sind einfach über die Absperrung zu unseren neuen Mitbewohnerinnen geflattert.
Redaktion: Haben Euch die anderen Hennen denn freundlich empfangen?
Liesel: Ich glaube wir hatten genauso viel Angst vor Ihnen, wie sie vor uns. Aber, wie alle Mädels, sind wir einfach viel zu neugierig und haben es einfach ausprobiert und, siehe da, es ging gut.
Redaktion: Das heißt Ihr habt jetzt endlich mehr Platz im Stall?
Liesel: Im Stall? Ha, wir wohnen doch nicht mehr nur im Stall, da gehen wir nur hin, wenn es stark regnet! Wir sind immer draußen. Wir dürfen sogar unseren eigenen Hühnerhof verlassen und im ganzen Garten herumspazieren!
Am Anfang trauten wir uns noch nicht so ganz aus dem eingezäunten Hof hinaus, aber da war alles so grün und schön, dass wir das ganz schnell gemacht haben. Es gibt sogar extra Ecken, wo wir im Sand baden und uns sonnen können. Die meiste Zeit verbringen wir damit herumzulaufen, zu scharren und nach Kleinigkeiten zu picken.
Redaktion: Sag mal Liesel, ich hätte noch eine andere Frage: warum legen manche Hennen weiße und manche Hennen braune Eier?
Liesel: Das habe ich auch erst hier gelernt und habe mich anfangs über die dunkleren Eier gewundert. Das liegt wohl an unseren „Ohrlappen“ (Anmerkung der Redaktion: Ohrlappen bei Hühnern sind Hautlappen unter dem Ohr, die direkt hinter den Augen liegen), denn wenn diese weiß oder hell sind, legen wir weiße Eier, wenn diese aber rötlich oder braun sind, dann sind die Eier bräunlich.
Redaktion: Magst Du unseren Lesern zum Abschluss noch etwas sagen?
Liesel: Gerne. Aber, wenn ich darf, würde ich mir lieber etwas wünschen…
Redaktion: …aber selbstverständlich…
Liesel: Ich wünsche mir von euch Menschen, dass Ihr bitte versucht zu verstehen, wie es uns Tieren in solchen Ställen ergeht.
Denkt bitte auch stets daran, dass wir Lebewesen sind. Vielleicht könnt Ihr beim Einkaufen darauf achten, welche Eier und welches Fleisch Ihr kauft. Oder am besten öfter darauf verzichten, dann würde es uns Tieren viel, viel besser gehen. Ich möchte mich hier auch nochmals bei der Initiative „Rettet das Huhn“ bedanken. Ohne sie hätte ich den Weg in mein wunderbares neues Zuhause nicht gefunden!
Redaktion: Liesel, wir danken Dir ganz herzlich für dieses Gespräch und wünschen Dir weiterhin ganz viel Freude in deinem „zweiten Leben“. [ch/jh/ck 11/21]
Anbei auch noch eine gute Dokumentation des WDR zum gleichen Thema.
Aber Vorsicht: sie geht ans Herz...